Stuttgarter Zeitung (Leonberg) vom 24. Januar 2024
Die Erste Bürgermeisterin von Leonberg klagt gegen ihren Zwangsurlaub und kandidiert auf der FDP-Liste für den Kreistag. Auch Ursula Kreutel bereitet ein Comeback vor. Die Liberalen geben sich kämpferisch.
Und plötzlich ist sie wieder da: Josefa Schmid, die Erste Bürgermeisterin von Leonberg, die von ihrem Chef in den Zwangsurlaub geschickt wurde, kandidiert bei der Kommunalwahl am 9. Juni hinter Dieter Maurmaier auf Platz 2 der Kreistagsliste der Leonberger FDP.
Die resolute Bayerin ist nicht die einzige interessante Bewerberin, die Liberalen ziehen auch mit einer Freien Wählerin in den Wahlkampf. Denn auch Ursula Kreutel plant ein politisches Comeback: Die frühere Bürgermeisterin von Weissach, die mittlerweile wieder im Leonberger Stadtteil Höfingen lebt, tritt gleich für drei Gremien an: Für den Kreistag ist sie auf Listenplatz 3, für den Leonberger Gemeinderat hinter Horst Nebenführ auf Platz 2. Auf der FDP-Liste für den Ortschaftsrat Höfingen steht die einstige Ortsvorsteherin des Stadtteils auf dem ersten Platz.
Josefa Schmid, der fast auf den Tag genau vor einem halben Jahr von Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) „die Führung der Dienstgeschäfte untersagt“ wurde, will mit ihrer Bewerbung ein,,klares politisches Zeichen“ setzen: „Mein Platz ist in Leonberg, hierhin werde ich nun rechtzeitig vor der Kommunalwahl auch meinen ersten Wohnsitz verlegen“, sagt die liberale Politikerin, die seit dem 23. Juni des vergangenen Jahres bei vollen Bezügen mit einem Zwangsurlaub belegt wurde. An ihrem Schreibtisch im Leonberger Rathaus will Josefa Schmid baldmöglichst wieder Platz nehmen. Wann die Überprüfung der Vorwürfe des Oberbürgermeisters gegen seine Stellvertreterin abgeschlossen ist, hüllt sich das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde in Schweigen.
Josefa Schmid gibt sich derweil kämpferisch: „Ich möchte mich für das Wohl der Stadt Leonberg und des Kreises Böblingen einsetzen. Ich bin bis Mai 2029 als Erste Bürgermeisterin gewählt, da macht es Sinn, in der kommenden Legislaturperiode die Interessen der Stadt im Kreistag zu vertreten.“ Deshalb will es Schmid nicht bei der Kreistagskandidatur belassen, sondern strebt weiterhin eine schnelle Rückkehr ins Leonberger Rathaus an. Gegen ihre Zwangsbeurlaubung hat sie Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingelegt. Es wird jetzt rechtlich überprüft, ob das Dienstverbot des Oberbürgermeisters rechtswidrig ist“, sagt Schmid auf Anfrage. „Ich gehe davon aus, dass das der Fall ist, insbesondere weil die zwei Vorwürfe wegen einer Stadt- werkerechnung und eines Reisekostenantrags ins Leere gehen und das Dienstverbot des Oberbürgermeisters aus einer persönlichen Fehde heraus motiviert ist.“
Sollte die Erste Bürgermeisterin, die eigentlich die Dezernate Finanzen, Ordnung und Soziales sowie die Stadtwerke leitet, vor Gericht erfolgreich sein, will sie, sobald der Richterspruch rechtskräftig ist, sofort ihre Dienstgeschäfte wieder aufnehmen. Die FDP-Politikerin erwartet, dass dies noch in diesem Halbjahr der Fall sein könnte.
Ähnlich kämpferisch gibt sich die Leonberger FDP. „Wir haben die Lage im Vorstand ausführlich diskutiert“, sagt der Stadtverbandsvorsitzende Kurt Kindermann. „Frau Schmid hat diese missliche Situation nicht heraufbeschworen, sie ist in das Ganze hineinmanövriert worden.“
Dass der Ersten Bürgermeisterin „schwerwiegende Dienstvergehen“ angelastet werden können, so wie es der OB behauptet, wird vom FDP-Chef angezweifelt. „Wir haben bei unseren eigenen Nachforschungen nichts in dieser Richtung feststellen können“, sagt Kindermann. „Wer weiß, wie das Ganze ausgeht.“ Daher sei die Aufstellung Josefa Schmids ein „politisches Statement.“
Ähnliches gelte für die Nominierung von Ursula Kreutel: „Beide Frauen sind nach unserer Auffassung ungerechtfertigt in sehr bedauerliche Situationen geraten“, meint der Leonberger FDP-Chef. „Wir stehen zu ihnen und möchten ihre langen Erfahrungen im Sinne der Bürger nutzen.“ Vor knapp zehn Jahren verlor Ursula Kreutel die Bürgermeisterwahl gegen den Herausforderer Daniel Töpfer von der CDU. Der legte seiner Vorgängerin zur Last, dass in Weissach über eine lange Zeit keine Jahresrechnung gemacht wurde. Um die Buchhaltung aufzuarbeiten, heuerte Töpfer den früheren Stadtkämmerer von Fellbach an, der für seine fast vier Jahre währende Honorartätigkeit der Gemeinde beinahe 215 000 Euro in Rechnung gestellt hatte. Außerdem hatte Töpfer einige Wirtschaftsberater beauftragt.
Im Juli 2020 urteilte das Verwaltungsgericht, dass die frühere Bürgermeisterin die kompletten Honorarkosten – inklusive der Gutachter-Honorare- von 223 000 Euro bezahlen müsse. Kreutel war dagegen juristisch vorgegangen, eine finale Einigung steht nach wie vor aus. Der jetzige Bürgermeister Jens Milow und der Weissacher Gemeinderat sind offenbar daran interessiert, die Angelegenheit, die überregional Aufsehen erregt hatte, geräuschlos beizulegen.
Dass Ursula Kreutel kein FDP-Parteibuch hat, ist laut Kurt Kindermann unerheblich: Um auf unserer Liste zu kandidieren, muss man nicht zwangsläufig Mitglied sein. Dass sie für liberale Werte steht, ist offenkundig.“
Die nimmt die 58-Jährige auch für sich in Anspruch: „Ich fühle mich bei den Liberalen sehr wohl“, sagt sie und sieht darin keinen Widerspruch zu ihrer langen Mitgliedschaft bei den Freien Wählern. Diese hatten bereits im November ihre Liste für die Kommunal- wahl aufgestellt; ohne Kreutel, dafür aber mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn. „Die FDP war auf mich zugekommen“, sagt sie und verweist auf ihre 15-jährige Er- fahrung im Kreistag: „Ich stehe auf keiner Liste nur zur Dekoration.“ Dass ändere nichts an ihrer Zugehörigkeit zu den Freien Wählern in Leonberg. Das sieht auch deren Chef so. „Für uns ist die Kandidatur kein Problem“, sagt Stephan Schwarz. „Sie hat mich informiert, es spricht nichts dagegen.“
Kommentar: Ein liberaler Coup
Mit der Aufstellung von Schmid und Kreutel macht die FDP die Wahl spannend
Mit der Nominierung von Josefa Schmid als Kreistagskandidatin ist der Leonberger FDP ein Coup gelungen. Egal, wie man die von OB Cohn kaltgestellte Bürgermeisterin beurteilen mag: Sie ist bekannt und zeigt sich kämpferisch. Die FDP kann sich als Kraft profilieren, die sich dem Anti-Schmid-Kurs des Oberbürgermeisters demonstrativ entgegenstellt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Aufstellen von Ursula Kreutel: Dass die frühere Bürgermeisterin von Weissach für Mängel in der dortigen Verwaltung von ihrem Nachfolger Daniel Töpfer allein verantwortlich gemacht wurde, hatte seinerzeit bei vielen Menschen Kopfschütteln hervorgerufen. Hatte doch der forsche Verwaltungschef für die Aufarbeitung der Versäumnisse die unglaubliche Honorarsumme von 223 000 Euro ausgegeben. Das entspricht zwei hohen Jahresgehältern. Auch die im Zuge der Greensill-Pleite in den Sand gesetzten 16 Millionen Euro waren gewiss kein Ruhmesblatt, wenngleich ein Gutachter vor zwei Jahren Töpfer sozusagen reingewaschen hatte. Das aktuelle Zerwürfnis im Leonberger Rathaus und die zum Glück der Vergangenheit angehörende Eisblock-Politik in Weissach zeigen, wie sehr die kommunale Arbeit, die pragmatisch und ideologiefrei den Menschen dienen sollte, mitunter längst von berechnender Machtpolitik mit allen Begleiterscheinungen eingeholt worden ist. Der anstehende Wahlkampf dürfte die Fronten weiter verhärten, birgt aber auch die Chancen einer Klärung und folgenden Stabilisierung.
Kommentar und Bericht von Thomas K. Slotwinski
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